Adam, Eva und noch viel mehr. Die Bibel und die Liebe

Ein Gespräch von Dorothea Salvini mit D. O. Schmalstieg, dem Autor der “erotischen Seiten der Bibel“

(erschienen in: Voce evangelica, Lugano 2007)

Wie bist du auf die “erotischen Seiten“ gekommen, war es eine besondere Geschichte der Bibel, ein bestimmtes Wort?
Es war das Wort „Liebe“, das mich schon immer in der Bibel besonders angesprochen hatte. Und mit der Zeit habe ich ein ganzes Geflecht wahrgenommen, nicht nur einzelne Geschichten, sondern eine Verdichtung, eine Art Zuspitzung dann am Ende der Bibel mit Jesus, Johannes und Paulus. Das Buch von Dan Brown zum „Da Vinci Code“ gab einen zusätzlichen Anstoss, das musste man unbedingt präzisieren und korrigieren.

Aber die wirklich erotischen Indizien in der Bibel sind ja spärlich. Hast du keine Probleme damit gehabt?
22 grosse und kleine Liebesgeschichten finde ich nicht so spärlich. Natürlich muss man die Liebesgeschichte z.B. in den langen Kapiteln über Sara und Abraham erst suchen. Aber es gibt sie wörtlich im Text (Sara wird etwa als überwältigend schöne Frau geschildert), und wenn man einmal den roten Faden in der Bibel entdeckt hat, dann werden auch die unscheinbaren und bizarren Texte wichtig. Und alles zusammen bildet ein intensives Konzept: „Gott ist Liebe“, aber nicht abstrakt, sondern so, wie es in den Geschichten von Ruth, Esther, der Weisheit, von Maria Magdalena und den vier “Johannes“ festgehalten wird. Gott will Liebe.

Sehr gefallen hat mir die Geschichte von Paulus und seinem Liebeshymnus. Aber ich hatte hier ein Problem: Ohne die Kenntnis der einzelnen Geschichten und Texte ist es fast nicht möglich, deine Interpretation zu verstehen. Erhoffst du dir mit dem brisanten Titel trotzdem neue Leser der Bibel?
Nicht in unbedingt neue Leser, aber erneuerte Leserinnen und Leser. Ohne Erklärung lesen sich all die Liebesgeschichten als kuriose und oft merkwürdige Texte. Aber im Zusammenhang gelesen erhalten sie ein neues Gewicht. Sie zeigen, dass die Liebe sehr verschiedene Gesichter haben kann, sie umfasst das Sinnliche (David), die Politik (Esther), die Einfühlung ins Menschliche (Maria Magdalena), die Überwindung des Scheiterns (Tobias).

Im Zusammenhang der Liebesgeschichte zwischen David und Jonathan formulierst du den Satz „die Wurzeln der Liebe verlieren sich in Gott selbst“. Kann in Gott etwas verloren gehen? Ist es nicht eher so, dass wir sie dort – endlich – finden?
Ich wollte sagen, dass sich die Wurzeln der Liebe in der Unendlichkeit verlieren, aber nur für unseren kurzsichtigen Blick. Viele kurzsichtige Annahmen gerade in unserer Zeit, die Liebe, Sinnlichkeit und Sexualität betreffend, landen in einer Verlustbilanz. Die Entdeckung der Verwurzelung in Gott wäre die Medizin, das Gegengewicht.

Was ist denn nun Eros für dich, sehnt er sich nur nach Sex oder nach mehr?
Die Bibel macht uns mit ihren Geschichten folgenden Vorschlag: Eros umfasst das ganze Spektrum der sinnlichen, gefühlsmässigen und spirituellen Leidenschaften. Sie schliesst nichts aus, sie warnt allerdings vor Engführungen: nur körperliche Liebe (David und Batscheba, Juda und Tamara) greift zu kurz, nur spirituelle Liebe verzichtet unnötigerweise auf die Erfüllung. Die Erweiterung der Erfahrungen ist sozusagen das Bibel- und Gottesprogramm.

Warum schämt sich dann der Mensch, die erotische Seite der Liebe Gott gegenüber zu zeigen und zu praktizieren? Sind die Feigenblätter nicht überflüssig?
Ich denke, ich habe das Buch auch deshalb geschrieben, um diese Scham zu überwinden. Sie kommt aus der Begrenztheit unserer Erfahrungen. Wir schämen uns, weil wir die Liebe klein halten, statt sie so gross zu machen, wie die Bibel das möchte.

Also lassen wir unser Herz überfliessen vor Liebe und lassen sie Gestalt werden an unseren Mitmenschen und gleichzeitig in der Liebe zu Gott. Und weil für Gott die Leiblichkeit so wichtig ist, wird überall der Eros zu spüren sein, sogar in der keuschen Liebe.

Interview: Dorothea Salvini. D.S. lebt als Landwirtin in Verdabbio. Sie hat Literatur studiert und besucht den Lesekreis Bellinzona.


D.O. Schmalstieg
Die erotischen Seiten der Bibel. 22 Liebesgeschichten
Edition M. Servet, Biel, 134 S., Fr. 26.-

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